Page 7 - Hafen Hamburg | Port of Hamburg Magazine 2.2023
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„Indien könnte eines der kommenden Länder werden“
Dr. Vincent Stamer ist Experte für Außenhandel am Institut für Weltwirtschaft in Kiel und gleichzeitig Vater des Kiel Trade Indicators. Im Interview diskutiert er mit POHM-Redakteur Ralf Johanning über aktuelle Handelsströme und zukünftige Märkte.
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 POHM: Herr Stamer, Sie sind der Vater des Kiel Trade Indicators, der anhand der weltweiten Containerschiffs- Bewegungen die Handelsströme von 75 Ländern und Regionen einschätzt. Wie sind Sie auf diese Idee ge- kommen?
Vincent Stamer: Sie werden es kaum glauben, aber ich habe den Indicator im Rahmen meiner Doktorarbeit entwickelt. Die Idee war es zuerst, anhand der Schiffe die Handelsströme zwischen Asien und Europa bewerten zu können. Eine zen- trale geografische Stelle dafür ist das Rote Meer. Zu Beginn nutzte ich die App MarineTraffic, die al- le Schiffe weltweit in Echtzeit anzeigt. Im Roten Meer habe ich diese händisch gezählt. Im zweiten Schritt hatte ich dann Hilfe von weiteren wissen- schaftlichen Hilfskräften. Erst im dritten Schritt ist es mir gelungen, es zu automatisieren und auf alle Weltmeere zu übertragen.
Was heißt das für den Handelsindikator?
Anhand der AIS-Position lässt sich jedes Container- schiff eindeutig identifizieren. Wir berücksichtigen heute alle Containerschiffe ab einer Länge von 80 Metern. Das sind in etwa 6.000 Stück. Von ihnen er- halten wir täglich eine Position und die Port-Calls.
Was lässt sich denn mit diesen Bewegungen ablesen?
Wir konnten beispielsweise eindeutig die Auswir- kungen der verschiedenen Lockdowns während der
Corona-Pandemie verfolgen. Im Januar und Febru- ar des Jahres 2020 kam es erstmals zu einem Lock- down in China. Dies führte zu einem Einbruch bei den chinesischen Exporten. Im März und April er- holten sie sich kurzfristig wieder. Doch seitdem blieben die Im- als auch Exporte im Roten Meer auf einem sehr niedrigen Niveau mit etwa 10 bis 15 Pro- zent unter dem erwarteten Wert. Die gesamte Schwäche ist im späteren Verlauf jedoch haupt- sächlich durch die geringeren Exporte Europas nach Asien zu erklären. Die Importe nach Europa stiegen hingegen sogar teilweise.
Kann man so auf eine gewisse Abhängigkeit von China schließen?
Zumindest auf die Bedeutung des Handels mit Chi- na. Doch das betrifft in dieser Phase nicht nur Euro- pa. Die Weltwirtschaft hat außerdem davon profi- tiert, dass China nach dem ersten Lockdown weiter produziert hat. Das heißt im Umkehrschluss: Hätten wir nur mit uns gehandelt, dann wäre die Wirt- schaftskrise noch schlimmer gewesen. In diesem Fall haben wir sogar von den chinesischen Impor- ten profitiert, obwohl die Handelsströme im Ganzen weiterhin sehr niedrig waren.
Bleiben wir bei den Abhängigkeiten von China. Sind die- se denn so gravierend, wie von vielen politischen Seiten behauptet wird?





















































































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