DVZ-Round-Table: Branchenvertreter werden selbst aktiv, um schnelle Flüchtlingshilfe umzusetzen

05.10.2015 11:16 Wirtschaft

Ich habe Angst, dass die Stimmung kippt und der Frust überkocht. Deshalb möchte ich Flüchtlinge so schnell wie möglich in Arbeit bringen.“ Spätestens bei diesen Worten von VHSP-Vorstandsmitglied Willem van der Schalk kam richtig Dynamik in die Diskussion der Teilnehmer des Round Table „Flüchtlingshilfe“, den die DVZ vergangenen Freitag in Hamburg veranstaltet hat. Zu diesem Anlass kamen Vertreter der Branche und von Behörden zusammen, um in einem offenen Dialog über schnelle, unbürokratische Flüchtlingshilfe zu diskutieren. Dass sich die Branche bereits intensiv mit dem Thema auseinandersetzt, zeigt nicht zuletzt die von der DVZ gestartete Aktion „Logistik geht voran“, über die bereits 420 Logistikjobs für Flüchtlinge angeboten werden. Der Bedarf, Flüchtlinge in der Logistik zu beschäftigen, ist also groß. Doch wie bekomme ich Kontakt zu Flüchtlingen, die für eine Tätigkeit in der Logistik geeignet sind? Welche bürokratischen Anforderungen müssen erfüllt sein, damit ein Flüchtling in meinem Betrieb anfangen kann? Kann ich auch Flüchtlinge ohne Deutschkenntnisse ausbilden? Inwiefern werden bereits im Ausland erworbene Qualifikationen oder Führerscheine in Deutschland anerkannt? Und ist es realistisch, auch duale Studiengänge mit Flüchtlingen zu besetzen? Das sind nur einige der Fragen, die den Teilnehmern des Round Table auf der Zunge brannten. Sie alle sind daran interessiert, Flüchtlinge in ihrem Unternehmen zu beschäftigen, doch die vielen Fragezeichen schrecken ab. „Es fehlt eine Anlaufstelle, die diese Fragen schnell und verständlich beantworten kann. Was wir brauchen, wäre ein Leitfaden, der all diese Punkte abhandelt und einen Überblick gibt, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, um einen Flüchtling als Praktikanten oder Auszubildenden einzustellen“, brachte es Werner Gliem von der Logistik-Initiative Hamburg auf den Punkt. Ein paar Antworten konnte Hans Nauber von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration liefern. Diese lösten bei den Teilnehmern aber mehr Ernüchterung aus als Motivation. Denn die bürokratischen Hürden sind groß und die Flexibilität von Vermittlungsbehörden gering. Dieselbe Erfahrung hat auch van der Schalk gemacht, der laut Aussage Michael Pirschels von der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation während des Round Table den ersten Stein zur Integration von Flüchtlingen in die Logistik ins Rollen gebracht hat. Der Geschäftsführer der Spedition A. Hardtrodt hat sich zunächst gemeinsam mit seiner Frau in der eigenen Gemeinde für syrische Flüchtlinge engagiert. Dann stand auf einmal die Idee im Raum, Syrern mit guten Englischkenntnissen auch eine Ausbildung in der Spedition anzubieten. „Wie viele andere auch habe ich erst mal nach Gründen gesucht, die dagegen sprechen“, berichtet van der Schalk ganz offen. Letztendlich hat ihn dann seine Frau überzeugt. Doch als sich van der Schalk näher mit der Thematik auseinandersetzte, folgte auf seine emotionsgeladene Motivation schnell Enttäuschung, als er feststellte, dass ihm der besagte Stein, immer wieder in den Weg gelegt wird.

Ausbildung nur mit Deutschkenntnissen
Die größte Hürde ist die Sprache: Um in Deutschland eine Ausbildung absolvieren zu können, muss man mindestens das Sprachniveau „B2“ vorweisen. „Das kann mancher Deutsche nicht“, betonte van der Schalk, der die Meinung vertritt, dass gute Englischkenntnisse für eine Tätigkeit in der international geprägten Logistikbranche ausreichen sollten. Auch die Zusammenarbeit mit dem regionalen Jobcenter war für van der Schalk kräftezehrend, weil die vielen Gesetze und Paragrafen quasi handlungsunfähig machen. Zumindest in einigen der genannten Punkten versprach Nauber Besserung: In Berlin wurden zwischen Bund und Ländern kürzlich einige Neuerungen beschlossen, um die Beschäftigung von Flüchtlingen zu beschleunigen. Zum Beispiel soll die Dauer der Asylverfahren verkürzt und Sprachförderung finanziell unterstützt werden. Neu ist auch, dass Flüchtlinge mit einem ungeklärten Status nun an Integra tionskursen teilnehmen dürfen. Speziell für die Integration von Flüchtlingen in den Hamburger Arbeitsmarkt hat die Bundesagentur für Arbeit kürzlich das Programm „Work and Integration for Refugees“ (W.I.R.) auf den Weg gebracht, das im November in Hamburg starten soll. Konkret verfolgt es vier Ziele: Jugendliche in Arbeit bringen, die Unternehmen dabei unterstützen, die Anerkennung der Qualifikation von Flüchtlingen fördern und nicht qualifizierte Flüchtlinge weiterbilden. Dafür wollen die 20 W.I.R.-Mitarbeiter ein Profil von jedem Flüchtling in einer Folgeunterkunft erstellen, das Aufschluss über Gesundheitszustand, Erwerbsfähigkeit, Wohnsituation, soziale Einbindung, Rechtsstatus, Sprachkenntnisse, schulische und berufliche Abschlüsse und Berufspraxis gibt. „Durch eine möglichst detaillierte Bestandsaufnahme hoffen wir einen guten Überblick darüber zu bekommen, was wir dem Arbeitsmarkt anbieten können, und Flüchtlinge erfolgreich an passende Betriebe vermitteln zu können“, erklärt Nauber.

Kapazitäten sind begrenzt
Doch die Kapazitäten von W.I.R. sind gering, und das Projekt ist regional begrenzt. Wieder machte sich ein wenig Ratlosigkeit unter den Teilnehmern breit. Auch das Angebot von Dirk Blesius (Kühne + Nagel) und Arno Schirmacher (Hamburger Hafen und Logistik AG), W.I.R. mit Personal zu unterstützen, hilft nur bedingt. Denn das eigentliche Problem, dass den meisten Flüchtlingen schlicht die nötigen Sprachkenntnisse fehlen, um in Deutschland beschäftigt zu werden, bleibt bestehen. „Müssen wir uns dann vielleicht von dem Begriff ‚Ausbildung‘ verabschieden, um die bürokratischen Barrieren abzubauen?“, warf van der Schalk schließlich in den Raum. „Wenn Deutschkenntnisse Voraussetzung für eine Ausbildung sind, dann müssen wir es eben anders nennen – Praktikum oder Traineeship“, folgerte er. Dieser Gedanke traf bei den Teilnehmern direkt auf Zuspruch, sie diskutierten über unterschiedliche Ansätze, bis Nils Haupt, Pressesprecher von Hapag-Lloyd, vorschlug: „Wir müssen für unsere Branche einfach ein eigenes Bildungsprogramm schaffen – und nennen es dann ‚Zertifikat Logistik-Grundausbildung‘.“ Aus dieser vagen Idee entstand in einer lebhaften Diskussion das Konzept eines einjährigen Bildungsprogramms, das von verschiedenen Logistikunternehmen gemeinsam umgesetzt wird und sich an Flüchtlinge richtet, die keine Deutschkenntnisse oder Erfahrun gen in der Logistik mitbringen. „Die Anwärter könnten über einen Zeitraum von einem Jahr jeweils einen Monat lang im Wechsel bei verschiedenen Unter nehmen aus der Logistik hospitieren – verbunden mit regelmäßigen Sprachkursen. Dann wären sie zum Beispiel den ersten Monat bei Hapag-Lloyd, im zweiten Monat bei Hermes et cetera. Und nach einem Jahr bringen sie dann im besten Fall so gute Sprachkenntnisse und Erfahrungen in der Logistik mit, dass sie sich direkt für eine Ausbildung bewerben könnten“, schlug Haupt vor. Ein wenig Skepsis ließ der eine oder andere Teilnehmer trotzdem noch durchblicken, immerhin ist ein solches Vorhaben nicht einfach zu stemmen und mit viel Aufwand verbunden. „Also, wollen wir das zusammen angehen?“, ergriff Pirschel kurzerhand die Initiative, um das Brainstorming zu einem verbindlichen Ergebnis zu bringen: „Das kriegen wir doch gemeinsam hin!“ Und schließlich verständigten sich die Teilnehmer darauf, selbst organisierte Hilfe anzubieten, ein konkretes Konzept für das Bildungsprogramm zu erarbeiten und dafür weitere Kooperationspartner ins Boot zu holen. „Trotzdem brauchen wir einen Leitfaden!“, setzte Gliem noch einmal nach. „Dann kann keiner mehr sagen: Wir hätten ja gewollt, wussten aber nicht wie.“ Bis zum Ende der Veranstaltung hatten sich die Branchenvertreter dann auf eine gemeinsame Vorgehensweise geeinigt: Sie werden sich bald wieder treffen, um in zwei Arbeitsgruppen einen Leitfaden zur Beschäftigung von Flüchtlingen in der Logistik und ein individuelles Bildungsprogramm für die Branche zu erarbeiten. „Wir sind bei diesem Thema alle Lernende und müssen bestimmt viel improvisieren“, betonte Haupt abschließend, sicher auch, um den Teilnehmern den Druck zu nehmen, dass nicht von vornherein alles reibungslos laufen kann: „Aber irgendwie kriegen wir das schon hin!“

Weitere Informationen unter http://www.dvz.de/themen/logistik-geht-voran.html

(Text: Lisa Reggentin)

 

: Teilnehmer des Round Table „Flüchtlingshilfe“