„Gemeinsam überwinden wir diese Krise“

14.07.2020 00:00 Wirtschaft

Der Welthandel ist eingebrochen, die Werftenlandschaft liegt brach, die Weltleitmesse SMM musste verschoben werden: Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie erschüttern die maritime Branche. Wie kommen Reeder, Werften und Zulieferer aus der Krise? Wird das Virus ihr Geschäft nachhaltig verändern? Ein Marktüberblick.

Die globale Wirtschaft hat die Covid-19-Pandemie schwer getroffen. „Die Rezession in diesem Jahr dürfte tiefer sein und die Erholung 2021 langsamer ausfallen, als noch vor zwei Monaten gedacht“, sagt Gita Gopinath, Chefvolkswirtin des Internationalen Währungsfonds IWF. Demnach werde die Weltwirtschaft um fast fünf Prozent schrumpfen. Das trifft die maritime Industrie besonders hart: Durch den weltweiten Lockdown wurden wichtige Handelsketten unterbrochen. Beim Branchenprimus Maersk ging der Containertransport im zweiten Quartal um mindestens 15 Prozent zurück.

Auch die SMM 2020 blieb von Corona nicht verschont: Eine Veranstaltung mit über 2.000 Ausstellern und rund 50.000 Besuchern im September war schlicht nicht vorstellbar. Die maritime Weltleitmesse wurde deshalb auf den 2. bis 5. Februar 2021 verschoben. Die Resonanz der Branche auf den neuen Termin ist positiv: „Wir können erfreulicherweise sagen, dass rund 90 Prozent der Aussteller der SMM 2020 auch an der SMM 2021 teilnehmen werden“, sagt Claus Ulrich Selbach, Geschäftsbereichsleiter Maritime und Technologiemessen bei der Hamburg Messe und Congress (HMC). „Gemeinsam werden wir diese Krise überwinden“, so Selbach.
Zuversichtlich stimmen allmähliche Lockerungen in vielen Ländern. Chinas Wirtschaft fasst Fuß, zahlreiche Staaten öffnen wieder ihre Grenzen. Eine Rückkehr in die Normalität ist das jedoch noch nicht: Denn in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern steuert die Pandemie erst auf ihren Höhepunkt zu. Eine ungewisse Situation, die auch die maritime Wirtschaft vor enorme Herausforderungen stellt.

Renaissance durch Digitalisierung
„Wir wissen zwar, dass wir die Zukunft nicht vorhersagen können. Aber wir können versuchen, uns auf Veränderungen vorzubereiten, die eindeutig auf der Hand liegen", sagt Martin Stopford, Präsident von Clarkson Research. „Sich nicht vorzubereiten kann riskanter und teurer sein, als die ‚sichere' Option, nichts zu tun“, so der Schifffahrtsexperte. Die Coronakrise zwinge die maritime Branche, sich schnell neuen Wegen zu öffnen. Innovative digitale Produkte werden in Rekordzeit entwickelt und an den Start gebracht. „Die Pandemie hat die Digitalisierung der Branche beschleunigt und sie um ein halbes Jahrzehnt vorverlegt”, sagt Knut Ørbeck-Nielssen, CEO der Klassifikationsgesellschaft DNV GL - Maritime. „Die Krise hat das Potenzial, viele Innovationen und neue Ideen in der gesamten maritimen Welt anzustoßen – und die Branche so zu einer Renaissance zu führen.“ Der Hauptsponsor der SMM ist einer der Vorreiter bei digitalen Fernwartungen, dem Einsatz von Digital Twins und Datenanalysen. Davon profitiert auch die „grüne“ Schifffahrt. Wie die Branche den Technologie-Boost in nachhaltige Antriebslösungen ummünzen will, diskutieren Experten im Februar 2021 im Rahmen der SMM-Umweltkonferenz gmec und beim Maritime Future Summit. Driving the maritime transition – das Leitmotiv der maritimen Weltleitmesse – hat durch Corona weiter Fahrt aufgenommen.

Zulieferer zehren vom Umsatzpuffer
Dass gute Vorbereitung die halbe Miete ist, weiß Martin Johannsmann, Vorstandsvorsitzender der VDMA Marine Equipment and Systems und Vorsitzender der Geschäftsführung von SKF: „Wir sind insgesamt in der Branche gut aufgestellt. In der Coronakrise hat sich das ausgezahlt. Wir haben sehr schnell gelernt, mit der Pandemie umzugehen.“ Die Produktion lief fast ohne Unterbrechungen weiter, Aufträge konnten abgearbeitet werden. Allerdings zehren die deutschen Zulieferer hier noch von einem Auftragsplus um 3,4 Prozent aus dem vergangenen Geschäftsjahr.
Sorgen bereitet den Firmen aber die spürbare Kaufzurückhaltung der Kunden. Klaus Deleroi, Geschäftsführer beim Getriebespezialisten Reintjes, hofft deshalb auf Unterstützung der Bundesregierung. So steht eine Milliarde Euro für Ersatzbeschaffungen von Schiffen und digitale Projekte, saubere Schiffe, LNG-Betankungsschiffe und Landstromanlagen zur Verfügung.

Fahrt ins Ungewisse
Ein Blick in die weltweiten Orderbücher zeigt: Die Werften sind die großen Verlierer der Krise. Bereits vor Corona war der Auftragsbestand auf 13 Millionen Gross-Tonnage gesunken (2009: 30 Millionen GT). Insbesondere die erfolgsverwöhnte Kreuzfahrtbranche steht vor turbulenten Zeiten. Um eine Schieflage zu vermeiden, haben die zum malaysischen Konzern Genting gehörenden MV Werften 175 Millionen Euro Soforthilfe erhalten. Die staatliche KfW unterstützte die Meyer Werft mir 200 Millionen Euro. Der Marktführer im Kreuzfahrtsegment rechnet bis 2023 mit keinen neuen Aufträgen. Aktuelle Bauprojekte werden gestreckt, um Beschäftigungslücken zu vermeiden. Ginge es nach den Kreuzfahrtreedereien, würden sie ihre Flotten lieber reduzieren als erweitern. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass einige Schiffe auf dem Markt abgewrackt werden“, sagt Carnival-CEO Arnold Donald. Seit fast vier Monaten haben die weltweit 400 Kreuzfahrtschiffe Zwangshrefaub. Den Branchenführer Carnival kostet das pro Monat eine Milliarde US-Dollar. Erste zaghafte Ausflugsversuche – mit deutlich weniger Passagieren und strengem Hygienekonzept – startete jüngst die norwegische Reederei Hurtigruten. Wann der Normalbetrieb wieder richtig losgehe, sei die Millionen-Dollar-Frage, so CEO Daniel Skjeldam. Sogar „Cruises to Nowhere“, also Reisen ohne Landgang, sind denkbar. Ein Hoffnungsschimmer für die Branche sind die konstant eingehenden Buchungen für die nächste Kreuzfahrtsaison.

Fehlende Kooperation der Staaten
Weltweit hoffen Crews an Bord von Handels- und Kreuzfahrtschiffen, dass die Reisebeschränkungen aufgehoben werden. „In einigen Fällen sind Seeleute nun monatelang über ihre vertraglich vereinbarte Zeit hinaus auf Schiffen festgehalten worden. Sie sind direkt von der Untätigkeit und mangelnden Kooperation der Staaten rund um den Globus betroffen“, kritisiert Estelle Brentnall, Head of Maritime beim Europäischen Transportarbeiterverbands ETF. Sie fordert: „Lasst sie nach Hause gehen!”. Auch die Reeder setzen sich hier massiv für eine Lösung ein: „Mithilfe der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO haben wir etwa allen Staaten weltweit schon vor Wochen ein detailliertes Verfahren an die Hand gegeben, durch das auch in Corona-Zeiten Crew-Wechsel sicher möglich sind“, sagt Alfred Hartmann, Präsident des Verbands Deutscher Reeder.

Im Privaten wie im Geschäftlichen wird vieles momentan online abgewickelt – die Begegnung Face-to-Face kann das aber kaum ersetzen. „Man kann die ganze Welt über das Internet treffen, aber es ist nicht das Gleiche, wie auf der SMM zu sein, wo alle Mitglieder der Schifffahrtsgemeinschaft zusammenkommen, sich vernetzen und ihre Themen diskutieren”, sagt BIMCO-Präsidentin Sadan Kaptanoglu. Man müsse eben zusammen lachen, spaßen und feiern, um schließlich auch miteinander Geschäfte zu machen, sagt Dirk Lehmann, Managing Director des Hamburger Unternehmens Becker Marine Systems und stellvertretender Vorsitzender von SEA Europe. Deshalb sind Veranstaltungen wie die SMM so wichtig. Nur im persönlichen Kontakt springt der Funke für neue Ideen, Partnerschaften und Geschäfte über. Die weltweite maritime Community freut sich darauf, vom 2. bis 5. Februar 2021 in Hamburg zusammenzukommen. Die HMC entwickelt aktuell in Kooperation mit den zuständigen Behörden und den Health & Safety Experten ausgewählter Aussteller ein Konzept, das auf den geltenden Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie beruht. Ziel ist es, ein Maximum an Sicherheit und einen erfolgreichen Messeverlauf zu gewährleisten. Das Konzept wird im Oktober 2020 präsentiert.

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SMM
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