Der stille Champion
Der Gesamthafenbetrieb gehört zu den Trägerschaften, die für die Hafenwirtschaft essenzielle Dienste leisten. Denn ohne das flexible Personal hätten die ...
Autor: Ralf Johanning
Auf den ersten Blick wirkt der Arbeitsplatz von Alexander Rugenstein für einen Laien unverständlich. Auf fünf Monitoren stehen jede Menge Informationen in tabellarischer und visueller Form mit vielen Abkürzungen und Fachbegriffen. Nur unterschiedliche interaktive Karten des Hamburger Hafens bis hin zur Straße von Gibraltar geben Aufschluss über den Arbeitsbereich von Rugenstein. Er gehört zum 19-köpfigen Team des Hamburg Vessel Coordination Center (HVCC). Dieses in der maritimen Welt einmalige Unternehmen koordinierte allein im vergangenen Jahr im Hamburger Hafen rund 4.600 Terminalanläufe und die Stauplanung von Feeder- und Binnenschiffen. Hinzu kamen die Vorsequenzierung der Ankünfte und Abfahrten von rund 2.700 Großschiffen, die Begegnungsrestriktionen auf der Unterelbe haben.
Es ist eine umfassende Aufgabe, denn die Hansestadt Hamburg hat einen besonderen Hafen. hat von hier noch eine Länge von gut 100 Kilometern bis in die offene See. Über diese Strecke müssen alle Schiffe, ob groß oder klein, bevor sie an einem der vielen Terminals festmachen. Damit dies reibungslos funktioniert und alle Partner rechtzeitig wissen, wie eine Verkehrsablaufsteuerung geplant ist, koordiniert die Abteilung Nautische Terminal Koordination (NTK) des HVCC dies bereits Tage im Voraus.
Besonders die großen Bulker, Kreuzfahrtschiffe, Con- Ro- und Containerschiffe, mit einer Länge von bis zu 400 Metern und einer Breite von über 60 Metern, haben nur bestimmte Zeitfenster, um den Hamburger Hafen zu erreichen oder von dort wieder auszulaufen. Neben der Tide gilt es frühzeitig eine Reihe weiterer Regelungen zu beachten. Da sind beispielsweise die Breiten und Positionen der sich begegnenden Schiffe auf der Unterelbe oder auch die Höhe eines Schiffes zur Passage der Köhlbrandbrücke.
„Hinzu kommen Windbedingungen sowie ständige Veränderungen in den Planungen der Reeder und Terminals, die fortlaufend beobachtet und berücksichtigt werden müssen“, verdeutlicht Rugenstein die nautische Notwendigkeit des HVCC – und das für jedes Schiff, was bestimmte Dimensionen überschreitet.
Die Informationen, mit denen Alexander Rugenstein und seine Kollegen tagtäglich jonglieren, sind so umfangreich, dass eine komplexe, von HVCC selbst entwickelte Software sie unterstützen muss.
„Ohne ein solches System könnten wir weder eine vorausschauende Planung erstellen noch diese ständig im Blick behalten“, betont Gerald Hirt, Geschäftsführer des HVCC, und verdeutlicht es: „Unsere Software gleicht beispielweise jede Minute 50.000 Schiffspositionen in Nordeuropa mit unseren Plandaten ab.“
Das Team in der NTK, in dem Rugenstein arbeitet, muss alle in den Hafen kommenden und abgehenden begegnungsrelevanten Schiffe für die folgenden Tage im Auge behalten. Deshalb die vielen Bildschirme. Die ersten, überschlägigen Planungen fünf Tage vor Ankunft des Schiffes in einer bestimmten Verkehrsablaufsteuerung werden dann in den Folgetagen immer detaillierter.
Immer eine für alle Beteiligten tragbare Lösung zu finden, das ist die große Kunst in diesem Geschäft. Das HVCC-Team beherrscht sie ganz offensichtlich. Sie erstellen für Großcontainerschiffe, die aus Vorhäfen wie Rotterdam oder Southampton Hamburg ansteuern, so genannte Passageplanungen. „Wir geben den Reedern eine Empfehlung, wann sie im Vorhafen losfahren sollten und welche Geschwindigkeit sie einhalten müssten, damit sie passend in eine vorgeplante Verkehrslage hineinlaufen“, erläutert Geschäftsführer Hirt. Mit Erreichen der Elbansteuerung geht dann die Vorsequenzierung des HVCC in die hoheitliche Verkehrsablaufsteuerung der Revierzentrale und der HPA über. „Hier haben wir wieder eine weltweit einzigartige Zusammenarbeit“, betont Hirt.
„Unsere Software
gleicht jede
Minute 50.000
Schiffspositionen in
Nordeuropa mit
unseren Plandaten ab."Gerald Hirt
Geschäftsführer HVCC
Natürlich sind die Pläne nicht in Stein gemeißelt. Stündlich gibt es Änderungen, die in der Planung berücksichtigt werden. Dies können beispielsweise auch Abweichungen in den Vorhäfen sein, die dem HVCC aus einigen Häfen in Nordeuropa bereits automatisch über IT-Schnittstellen direkt übermittelt werden, so dass umgehend reagiert werden kann.
Das Ganze ist mehr als ein guter Service des Hamburger Hafens. „Wir ermöglichen den Terminals, den Reedern und allen Beteiligten, ihre Ressourcen effizienter einzusetzen: Exakt geplante An- und Abfahrten ermöglichen, dass die Terminals, die Hafeninfrastruktur und Unterelbe optimal ausgelastet werden und Schiffe durch Just-in-Time Arrival weniger Treibstoffe verbrauchen und somit Emissionen reduziert werden“, betont der Geschäftsführer und ergänzt: „Letztlich haben also die Umwelt und die Menschen in der Metropolregion Hamburg etwas davon.“
Der Gedanke einer betriebsübergreifenden Zusammenarbeit stand bereits 2004 Pate, als die HHLA und EUROGATE das Projekt „Feeder Logistik Zentrale“ (FLZ) gründeten. Denn die Feeder genannten Zubringerschiffe und Binnenschiffe pendeln nicht nur zwischen Ausgangs- und Zielhafen, sondern auch zwischen den verschiedenen Hamburger Terminals. Das sollte besser abgestimmt werden und funktionierte dann so gut, dass die damalige FLZ schnell ihr Aufgabenspektrum erweiterte. 2009 wurde eine erste, eigenständige GmbH gegründet und ab 2012 die zweite Abteilung NTK aufgebaut. Im Jahr 2015 folgte dann die Umfirmierung in HVCC.
Das HVCC ist mittlerweile Dienstleister für eine Vielzahl von Unternehmen im Hafen. Dies sind neben den Reedern und Terminals auch nautische Dienstleister und Kunden, die die HVCC-Planungsdaten für ihre Dispositionsprozesse nutzen, beispielsweise Verlader und Bahnunternehmen. Hervorragend funktioniert auch die Abstimmung mit der Nautischen Zentrale der HPA. Hirt resümiert: „Im Ergebnis können sich die Reeder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und müssen sich nicht mit den Details des Hafenbetriebes befassen – in der Gesamtheit ist das ein wichtiger Beitrag zu einem optimierten Hafenanlauf.“
Der Erfolg ist für das HVCC-Team kein Grund, sich zurückzulehnen. Gemeinsam mit unterschiedlichen Partnern arbeitet das HVCC an einer weiteren Digitalisierung der Prozesse. „Unser permanentes Ziel ist der dynamische Datenaustausch in Echtzeit zwischen einer Vielzahl von Prozessbeteiligten. Das verbessert die Plandaten fortlaufend, reduziert Systembrüche und manuelle Datenübermittlungen und hat somit einen positiven Effekt auf die Koordination der Schiffe insgesamt“, beschreibt Hirt seine Rechnung. In der Summe führt sie zu einer höheren Wirtschaftlichkeit für viele Unternehmen, die im Hamburger Hafen tätig sind und langfristig auch zu einer besseren Berechenbarkeit und Stabilität der maritimen Transportkette.
Schon heute nutzen 750 User die HVCCPlattform, die weiterwächst. „Wir haben dieses Jahr weitere Service Provider im Hafen integriert, dies sind Bunkerfirmen, Entsorgungsunternehmen und Schiffsausrüster. „Im kommenden Jahr wollen wir diesen Unternehmen nicht nur die Liegezeiten der Schiffe im HVCC-Dashboard anzeigen, sondern auch ganz neue Funktionen und Dialoge bauen. Für eine bessere Abstimmung untereinander ist es sehr wertvoll, wenn die Akteure wissen, wann welches Unternehmen an der Wasserseite eines Schiffes seine Dienstleistungen verrichten wird“, sagt Hirt. Es wäre die nächste Stufe zu einer umfassenden, digitalen Koordination im Hamburger Hafen.