Eng verbandelt: Hamburg und der Ostseeraum
Abendstimmung über dem finnischen Hafen Hamina Kotka.
© Port of HaminaKotka Ltd

Eng verbandelt: Hamburg und der Ostseeraum

Für den Hamburger Hafen sind die Ostsee-Anrainerstaaten seit Jahrhunderten kulturell, wirtschaftlich und politisch von großer Bedeutung. Durch die veränderte geopolitische Lage wird die Partnerschaft mit den Ländern dieser Region immer wichtiger. Viele Logistikunternehmen haben ihre Strategie entsprechend angepasst.

Bis heute sind die Staaten in der Ostseeregion wichtige Handelspartner des Hamburger Hafens – und werden immer bedeutender. Rund 35 wöchentliche Feeder- und Shortsea-Dienste in die Ostseeregion bietet Deutschlands größter Universalhafen derzeit durchschnittlich an und übernimmt dadurch im seeseitigen Außenhandel mit den Ostseeanrainern eine führende Rolle als Transit-Drehscheibe. Unter den Handelspartnern aus dieser Region belegte Polen im vergangenen Jahr Platz 4 (2021 Platz 7, 2020 Platz 10), gefolgt von Schweden (im dritten Jahr in Folge auf Platz 5) und Finnland (2022 Platz 6, 2021 Platz 13, 2020 Platz 12). Besonders starke Zuwächse wurden dabei mit Polen verzeichnet: Hier stieg der Umschlag im Vergleich zu 2021 um 24,3 Prozent auf knapp 237.000 TEU. Ähnlich gut entwickelte sich der Containerverkehr mit Finnland: Hier betrug das Plus 22 Prozent, sodass rund 213.000 TEU umgeschlagen wurden. Die Folgen des Angriffskrieges gegen die Ukraine stellten die Ostseeanrainer aufgrund ihrer Handelsverbindungen mit Russland auch vor einige Herausforderungen, etwa Polen. „Die bestehenden Verkehrskorridore verloren in kürzester Zeit an Bedeutung, und die Stabilisierung der europäischen Wirtschaft hing von der Reaktion der Logistikunternehmen und der Inbetriebnahme von neuen Verkehrskorridoren ab“, berichtet Krzysztof Kamiński, Geschäftsführer bei PKP Cargo Connect GmbH mit Sitz in Hamburg.

Umleitung von Ukrainischen Getreidetransporten durch Polen

Der international agierende Logistikdienstleister und die deutsche Gesellschaft aus der PKP CARGO Gruppe betreute bis 2022 hauptsächlich intermodale Transporte über die Neue Seidenstraße. „Aufgrund der großen Veränderungen auf dem Markt hat das Unternehmen sein Geschäftsprofil teilweise geändert. Es ist jetzt verantwortlich für die Lieferung von über 200.000 Tonnen Energierohstoffen über deutsche Häfen nach Polen“, erläutert Kamiński und ergänzt:

„Bei Getreide und Getreidederivaten aus Polen und der Ukraine haben wir Transporte zu deutschen Häfen und Verarbeitungsbetrieben unterstützt. Dank spezialisierter Getreidewaggons konnten wir über 40.000 Tonnen Getreideprodukte zu Terminals in Hamburg, Drentwede und Brake transportieren.“ Das Unternehmen PKP erwartet auch in diesem Jahr, dass die europäische Logistikbranche von geopolitischen Faktoren und dem Krieg beeinflusst wird. Logistikunternehmen müssen daher flexibel und offen gegenüber neuen Transportlösungen bleiben. „Neben Importen von militärischer Ausrüstung und Kraftstoffen sowie Exporten zur Unterstützung der Ukraine müssen wir stabile Transportkorridore – einschließlich des intermodalen Verkehrs – zwischen der EU und der Ukraine schaffen, die fester Bestandteil der neuen Logistikarchitektur Europas werden“, sagt Kamiński.

Die Situation auf dem intermodalen Schienenverkehrsmarkt, insbesondere auf der Neuen Seidenstraße, wird sich verbessern. Den aktuellen Mengenrückgang hält PKP für vorübergehend und sorgt für den Umschlag von immer mehr intermodaler Ladung in Seehäfen, insbesondere in Hamburg.

Moderne Schiffe für schwedische Ziele

Stena Line konnte nach Angaben des Unternehmens – rein wirtschaftlich betrachtet – flexibel auf den Angriff Russlands auf die Ukraine reagieren und sieht Potenzial im weiteren Zusammenwachsen von Zentral- und Osteuropa. Erst kürzlich hat sich das schwedische Fährunternehmen, das sich auf Ro-Pax-Fährdienste spezialisiert hat, die Fähr- und RoRo- Terminalservices im Hafen von Ventspils, Lettland,gesichert. Im vergangenen Jahr wurde zudem die Route Nynäshman-Hanko, Finnland, neu aufgesetzt und ist mittlerweile etabliert.

Auf der Route Travemünde-Liepaja, Lettland, und Nynäshamn- Ventspils hat Stena Line modernisierte, teilweise verlängerte Fährschiffe eingesetzt, um der Nachfrage nach mehr Kapazität nachzukommen. Nicht zuletzt wurden 2022 die beiden brandneuen E-Flexer-Fähren „Stena Ebba“ und „Stena Estrid“ auf der Route Karlskrona- Gdynia in Betrieb genommen. Sie sorgen für mehr Frachtvolumen und Reisende zwischen dem stetig wachsenden polnischen Markt und Südschweden. Hinzu kommen die bestehenden frachtorientierten Routen Rostock-Trelleborg und Travemünde-Liepaja.

Dass sich der Deutschlandsitz von Stena Line trotz fehlender Fährverbindung an der Elbe befindet, hat mehrere Gründe. „Wir haben uns im Jahr 2020 für Hamburg als kommerzielles Zentrum in Deutschland entschieden, da hier das maritime Herz Deutschlands schlägt und die Stadt strategisch günstig zwischen unseren Abfahrtshäfen Kiel, Rostock und Travemünde liegt“, erläutert Mikko Juelich, Trade Director Germany und Deutschlandchef von Stena Line in Hamburg. „Darüber hinaus hat der Stena- Konzern hier mit Stena Recycling und Stena Glovis zwei Unternehmen vor Ort und mit Stena Logistik in Bremen ein weiteres in der Nähe, mit denen wir in Zukunft noch stärker kooperieren werden.“

Das nach Passagieren zweite Standbein der Reederei, die Fracht, hat sich zuletzt gut entwickelt: „Wir konnten letztes Jahr unser Frachtsegment weiter stabilisieren, sowohl bei der begleiteten und unbegleiteten Ladung und der Projektladung als auch im Intermodalsegment“, so Juelich. Allerdings: „Die guten Ergebnisse 2022 werden uns in diesem Jahr von Nutzen sein, wenn die Folgekosten der Energiekrise auf die Wirtschaft durchschlagen. Von einer guten Position aus gilt es, wachsam zu bleiben.“

SEE-CONTAINERVERKEHR HAFEN HAMBURG MIT …

(IN TEU), STAND: 23.1.23

RANG 2022RANG 2021RANG 2020PARTNERLAND20212022DIFFERENZIN %
4710Polen2362945624,3%
555Schweden298292–4–2,2%
61312Finnland1742133822,3%
191919Litauen117112–54,4%
Von Irland im Westen bis Lettland im Osten verbindet Stena Line nahezu alle nördlichen Länder auf 18 festen Routen mit einer Flotte von 39 Schiffen, wie hier der „Mecklenburg- Vorpommern“.
© Stena Line

Reger Austausch mit Finnland

Finnland zählt mit acht wöchentlich verkehrenden Vollcontainer-Liniendiensten auch verkehrstechnisch zu den wichtigsten Partnerländern im Containerverkehr des Hamburger Hafens in der Ostseeregion. Hier werden unter anderem die Häfen Helsinki, Hamina-Kotka, Rauma sowie Tornio und Oulu angelaufen. Über Hamina-Kotka, Helsinki und Rauma werden dabei rund 97 Prozent des finnischen Containerverkehrs mit Hamburg abgewickelt. Die im Verkehr mit Finnland betriebenen Containerschiffe haben Stellplatzkapazitäten zwischen 850 und 1.900 Standardcontainern (TEU). Die Transitzeiten des Seetransportes liegen je nach Hafen, Verkehrsrichtung und Rotation üblicherweise bei drei bis vier Tagen. Bei Bedarf werden auch Transporte konventioneller Ladung mit Mehrzweckschiffen einer Stückgut-Reederei durchgeführt.

Wie groß die Bedeutung des Hamburger Hafens für Hamina-Kotka ist, unterstreicht auch Kimmo Naski. „Ein großer Teil unseres Container-Feederverkehrs läuft über den Hamburger Hafen“, so der Geschäftsführer von Finnlands größtem Universalhafen, wo der Gesamtverkehr 2022 um 11,7 Prozent höher war als im Vorjahr. Und auch für 2023 ist Naski optimistisch: Trotz zweier längerer Streikphasen in diesem Jahr beträgt der Zuwachs nach den ersten vier Monaten (Januar – April) 11,4 Prozent. Allerdings: „Momentan sieht es aber so aus, dass der finnische Export nicht mehr so zieht wie am Anfang des Jahres.“ Deshalb sei auch eine Prognose bis Ende des Jahres schwierig.

Natürlich sind die Auswirkungen auf den Handel mit Russland auch hier groß: „Es gibt so gut wie keinen Handel mehr zwischen diesen beiden Staaten“, berichtet der Geschäftsführer. „Von dem russischen Transitverkehr über unseren Hafen sind nur noch die Düngemittel, die zur Nahrungsmittelgruppe gehören, übrig geblieben.“ Zudem importierten die finnischen Unternehmen früher viele Waren aus Russland. „Diese Güter wurden mit dem Zug oder mit dem Lkw über die Grenze transportiert.“ Da dies nicht mehr möglich ist, würden diese Waren, insbesondere Holz, nun aus anderen Ländern importiert und kommen jetzt per Schiff zum Hafen.

ENGE ZUSAMMENARBEIT MIT LITAUEN Darüber hinaus gilt auch Litauen als wichtiger Partner für maritime und landgebundene Transportdienstleistungen für den Hamburger Hafen. Derzeit sind es acht Container-Liniendienste mit Litauen, die alle den Hafen Klaipeda anlaufen. Dabei kommen Containerschiffe mit Stellplatzkapazitäten zwischen 870 und 1.400 TEU zum Einsatz. Die Transitzeit zwischen Hamburg und Litauen beträgt in Abhängigkeit von Richtung und Anzahl weiterer Häfen in der Regel zwei bis vier Tage.

Der Hamburger Hafen ist zudem seit Anfang April über die kanadische Reederei Fednav mit deren Atlantic Lakes Line (FAL Line)-Dienst auch direkt mit den Großen Seen verbunden, einer Gruppe von fünf zusammenhängenden Süßwasserseen in Nordamerika. Zu den Destinationen in Übersee zählen Hamilton in Kanada sowie Cleveland in den USA. Als erster sogenannter Laker legte die „Federal Oshima“ mit einer Tragfähigkeit von 36.000 Tonnen am Terminal C. Steinweg an. Fednav betreibt eine Flotte von etwa 120 weltweit verkehrenden Massengutfrachtern, von denen sich etwa 60 im eigenen Besitz befinden. Fednav hat seinen Hauptsitz in Montréal (QC), beschäftigt etwa 300 Büromitarbeiter und unterhält weltweit Handelsbüros.

„Dieser neue Dienst deutet an, dass es zu einer zunehmenden Diversifizierung der Linien kommt“, sagt Axel Mattern, Vorstand Hafen Hamburg Marketing e. V. Diesen Trend unterstreichen weitere Liniendienste, die im ersten Quartal den Hamburger Hafen mit gelistet haben. So nahm im Februar die Reederei Peter W. Lampke als deutsche Vertreterin von Ellermann City Liners Hamburg in die transatlantische Linie USX auf. Fünf Schiffe mit Kapazitäten von bis zu 5.000 TEU verkehren zwischen Hamburg, Tilbury, New York, Jacksonville, Wilmington, Bilbao, Antwerpen und Rotterdam und verbinden die Hansestadt somit direkt mit der US-amerikanischen Ostküste.

„Der USA Trade war schon immer der Klassiker eines jeden Schiffsmaklers und Linienagenten mit langer hanseatischer Verbundenheit“, erläutert Andree Brinkmann, Geschäftsführer von PWL Shipping. Die Reederei mit ihrer neuen Vertretung, der britischen Ellerman City Liners, gilt als einer der letzten „unabhängigen Linienagenten“ in Deutschland im USA-Vollcontainerverkehr. „Unsere Erfahrungen im US-Handel als unabhängiger Schiffsmakler und privat geführtes Unternehmen bestehen seit vielen Jahren zudem auch mit den PWL Shipping vertretenden Ro/Ro-Linienreedereien von deutschen Seehäfen zur USA“, erläutert er. Bislang befördert die Reederei in der Regel hochwertige Konsum- und Industriegüter von namhaften Herstellern und Produzenten aus Deutschland, Österreich, Schweiz sowie auch aus Polen und Tschechien. Die Abfahrten sind wöchentlich, jeweils donnerstags vom HHLA-Containerterminal Burchardkai (CTB) ausgehend.

Regionaldirektorin Europa bei HHM

Marina Basso Michael

Marina Basso Michael

Regionaldirektorin Europa

Zentrale
+49 40 37709 111
E-Mail

„Unsere Gesichter sind nach Westen gerichtet“

Algis Latakas, der seit 2020 General Direktor der staatlichen Seehafenbehörde Klaipèda ist, erläutert im Interview, wie sich der Hafen aufstellen möchte.

Woran denken Sie zuerst bei der Beziehung zwischen den Häfen Klaipèda und Hamburg?

Daran, dass es, wie zwischen allen Häfen, zwar einige Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten gibt. Schließlich sind fast alle Häfen trimodal. Litauen und Deutschland sind aber auch wirtschaftlich eng verflochten: Rund zwölf Prozent unseres Ladungsaufkommens stammt aus Deutschland. Und unsere Mentalität ist ähnlich. Hamburg könnte unser bester Freund werden.

Was bedeutet die im Mai besiegelte Mitgliedschaft bei HHM für Sie?

Es geht dabei nicht nur um Zusammenarbeit, sondern zeigt auch, dass Klaipèda nach starken Partnern sucht und nicht in seiner eigenen Blase bleibt. Beide Häfen können nicht nur Informationen, Erfahrungen, Analysen und Statistiken austauschen, sondern sich auch gegenseitig geschäftlich fördern. Wir sind sehr froh darüber, dass Hafen Hamburg Marketing uns als Mitglied aufgenommen hat, was auch an unserer guten Entwicklung liegt.

Eng verbandelt: Hamburg und der Ostseeraum
Algis Latakas, seit 2020 General Direktor der staatlichen Seehafenbehörde Klaipèda.
© Algirdas Kubaitis

Wie hat sich denn der Güterumschlag entwickelt?

Wir haben das vergangene Jahr mit einem Frachtvolumen von 36,1 Millionen Tonnen abgeschlossen und konnten unseren vierten Platz unter den Häfen der östlichen Ostsee behaupten. Das Frachtaufkommen verringerte sich um 21 Prozent gegenüber 45,6 Millionen Tonnen 2021, was auf den Verlust fast aller Transitladung aufgrund der Sanktionen gegen Belarus und des Krieges in der Ukraine zurückzuführen ist. Das Ergebnis ist aber besser als ursprünglich prognostiziert.

Was für Ladungsgüter sind vom Krieg und den Sanktionen betroffen?

Der Rückgang liegt vor allem an der Transitfracht, die um 35 Prozent zurückgegangen ist. Dass es insgesamt nur 21 Prozent sind, zeigt, dass wir einiges Volumen kompensieren konnten. Hauptsächlich nicht mehr verladen wurde weißrussischer Dünger als Schüttgut, was zumindest teilweise durch eine Rekordzahl von Containern und einem Anstieg der LNG- und sonstigen Erdölprodukt- Ladungen ausgeglichen wurde. Der Hafen von Klaipėda hat seine Position an der Ostküste der Ostsee behauptet und ist nun mit einem Plus von 57 Prozent und mehr als eine Million TEU dort führend beim Umschlag von Containerfracht. Das liegt auch daran, dass wir als neuer Hub MSC in den wichtigen Diensten von und nach Asien, Pakistan und Indien sowie Nord- und Südamerika angelaufen werden und für die führende Reederei Feederverkehre in den baltischen Staaten durchführen.

Welche Strategie verfolgen Sie für Ihren Hafen angesichts des Kriegs und der herausfordernden geopolitischen Lage?

Für uns steht fest: Unsere Gesichter sind nach Westen gerichtet. Außerdem geht es darum, zusätzlich zum Umschlag von Gütern einen zusätzlichen Wert für den Hafen zu schaffen, um die Ladungsverluste – immerhin 40 Prozent weniger Transhipmentladung seit Kriegsbeginn im Februar 2022 – zu kompensieren.

Gibt es bereits konkrete Ansätze?

Gerade hat der Staat Litauen eine Ausschreibung über Offshore-Windenergieanlagen mit 700 Megawatt gestartet. Im Herbst werden weitere 700 Megawatt ausgeschrieben. Wir sind daher dabei, unsere Infrastruktur entsprechend auszubauen, um als Installations- und Basishafen zu agieren. Ein zweiter spannender Bereich ist Wasserkraft. Bei einem Besuch in Hamburg habe ich mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge der Hamburg Port Authority gesehen, das fand ich sehr spannend.

Was sind Ihre Erwartungen für 2023?

Unsere Entwicklung hängt stark von den Sanktionspaketen ab, die wir uneingeschränkt unterstützen. Deshalb kümmern wir uns um die Kompensation mit anderen Warengruppen. Im ersten Quartal dieses Jahres haben wir mit drei Millionen Tonnen im Vergleich zum Vorjahr zwölf Prozent weniger Ladung umgeschlagen. Für das Jahr rechne ich mit insgesamt 35 Millionen Tonnen. Beim Containerumschlag wollen wir die eine Million TEU halten. Was uns dabei hilft ist, dass wir als Universalhafen sehr diversifiziert aufgestellt sind und von Schüttgut über Ro-Ro bis Flüssigladung und Container fast alles umschlagen, sogar Passagiere. Es fällt mir recht schwer zu sagen, was wir nicht umschlagen, außer etwa Gefahrgut und biologische Ladung.