Asien ist mehr als China
Der Tiefwasserhafen Yangshan in Shanghai gehört zu den größten Häfen weltweit.
© Wang Zhengming,SMCT SIPGS

Asien ist mehr als China

Fernost ist für den Hamburger Hafen ein wichtiges Fahrtgebiet. Künftig werden sich Ladungsströme von China in andere asiatische Länder verschieben.

Noch läuft der rote Balken hinter China von links nach rechts fast über die ganze Bildschirmseite. Beim seeseitigen Containerverkehr des Hamburger Hafens führt das ostasiatische Land mit großem Abstand die Top-10-Liste der Partnerländer an. Im vergangenen Jahr entfielen allein 2,46 Millionen TEU auf China, während Singapur auf 423.000 TEU (Platz 3) kam und Südkorea auf 186.000 TEU (Platz 10). Anfang Mai vertiefte Hamburg die seit 2010 bestehende Hafenpartnerschaft mit Busan. Das Fahrtgebiet Fernost bildet mit Nord-Ost- und Süd-Ost-Asien seit Langem ein Schwerpunktgebiet im See-Containerverkehr Hamburgs – künftig könnten sich hier Ladungsströme verschieben.

Große Containerreedereien haben die Verlagerung innerhalb Asiens schon auf dem Radar. „Wir sehen, dass die geographische Umorientierung bei einigen Unternehmen als Teil der China-plus-Eins-Strategie beginnt“, sagt Andreas Bütfering, der bei Hapag- Lloyd in Hamburg das Fahrtgebiet Fernost verantwortet. Bei der Geschäftsstrategie „C+1“ investieren Unternehmen nicht nur in China, sondern weiten ihre Produktion auf andere Länder aus, so wie es zum Beispiel Schöffel Sportbekleidung mit Sitz in Schwabmünchen macht.

Das mittelständische Familienunternehmen lässt technische Funktionsbekleidung größtenteils in Asien fertigen, weil sich dort eigenen Angaben zufolge seit Jahrzehnten „Fachexpertise für eine qualitativ hochwertige Textilverarbeitung sowie für eine Produktion zu wirtschaftlich interessanten Konditionen angesiedelt“ habe. „Die Logistik via Schiff ist für uns mit Blick auf unsere CO2-Strategie erste Wahl“, sagt Schöffel-Sprecherin Katrin Lörch. 2022 lieferten Partner aus China 16,56 Prozent des weltweiten Produktionsvolumens, Myanmar steuerte 30,51 Prozent und Vietnam 29,31 Prozent bei. Laut Lörch soll die Herstellung in Myanmar „perspektivisch“ reduziert werden. Unterdessen entstehen die künftigen Fabriken der Welt in Indonesien (5,37 Prozent) und Kambodscha (0,93 Prozent).

Suche nach neuen Standorten

Für Anne Thiesen ist Schöffel ein typisches Beispiel, wie Unternehmen ihre Lieferketten in Asien zunehmend resilienter aufstellen, um Ausfallrisiken durch geopolitische Konflikte, Preisspitzen oder Materialengpässe zu verringern. Sie berät Firmen beim Zugang zum asiatischen Markt und hat das jahrelang als Repräsentantin des Hamburger Hafens bei Fragen zu Unternehmensgründungen oder Geschäftspartnersuche in Hongkong, Südchina und Süd-Ost- Asien gemacht. Immer häufiger geht es in ihrem Netzwerk jetzt darum, für Fabriken in China einen Plan B auszuarbeiten. „Viele Unternehmen sind dabei, ihre Produktion zu verlagern, vor allem nach Vietnam, Indien oder Thailand“, beobachtet sie.

Diversifizierte Märkte

Angesichts der imposanten Liste ist es Walde wichtig festzuhalten, dass die Diversifizierung keine vollständige Abkehr von China bedeute, deutsche Unternehmen betrachteten China nach wie vor als einen der wichtigsten Märkte. Genauso erlebt es Michael Bönisch, der sich als Managing Partner bei Continuums Hongkong auf die Beschaffung kundenspezifischer Produkte bei Subunternehmen in Asien spezialisiert hat und 95 Prozent seiner Exportware für Europa über den Hafen Hamburg verschifft. Seine Kunden aus dem Handel bestellen Haushaltswaren und Küchenutensilien – dafür habe sich China seit den 1990er-Jahren zum dominanten Beschaffungssystem entwickelt. Angesichts gestiegener Kosten in China, voller Läger und weniger Aufträgen stellen Bönisch zufolge viele Handelsunternehmen ihre Lieferketten auf den Prüfstand.

„Containerreedereien
haben die Verlagerung
innerhalb Asiens schon
auf dem Radar.“

Andreas Bütfering

Hapag-Lloyd

In der Haushaltswarenbranche beobachtet Bönisch derzeit eine „extrem starke Verlagerung“ nach Vietnam: „Die Supply Chains sind schon da, Lieferanten haben dort Subunternehmen, auch der Mittelstand ist vor Ort.“ In Indonesien stehe die Produktion hingegen „in den Anfängen“. Bönisch beschafft aktuell immer noch drei Viertel seiner Ware in China, ein Fünftel in Vietnam und fünf Prozent in Indonesien. „Das verschiebt sich relativ schnell, das Projektgeschäft ist wesentlich flexibler geworden, die Preise entscheiden“, sagt er. Ab 2024 stellt er sich auf „größere Beschaffungsmengen aus Indien“ ein. Bislang habe es „große Probleme mit Rohmaterial“ für Haushaltswaren gegeben, aber bis Jahresende könnten zwei indische Konglomerate Kapazitäten für Edelstahl in der gewünschten Qualität anbieten. Das dürfte vor allem für seine US-Kunden eine verlockende Alternative sein.

Asien ist mehr als China
© Schöffel

Den Trend bestätigt Marko Walde, Geschäftsführer der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Vietnam: „Seit Mitte März 2022 haben wir 20 deutsche Unternehmen bei der Suche nach Investitionsmöglichkeiten in Vietnam unterstützt.“ In den vergangenen drei Jahren habe die C+1-Strategie an Dynamik gewonnen: „Die AHK Vietnam hat über 120 Anfragen von deutschen Unternehmen erhalten, die sich in Vietnam ansiedeln wollen.“ Die meisten Anfragen hätten einen Bezug zu China und „stammen von dort ansässigen Produktionsstätten oder regionalen Zentralen“. Im genannten Zeitraum investierten Walde zufolge 21 Hersteller in Vietnam – darunter die Beiersdorf-Tochter Tesa (selbstklebende Lösungen), Leonhard Kurz (Dünnschichttechnologie), Hartung (Karten, Geschenk- und Schreibartikel), Fischer (Befestigungssysteme), Viessmann (Heiz-, Kühl- und Lüftungstechnik), Magnetec (induktive Bauelemente) und Ziehl-Abegg (Ventilations-, Antriebs- und Regeltechnik).

Indien wird interssanter Indien profitiert als Produktionsstandort vom Handelskrieg zwischen den USA und China. Laut einer aktuellen Auswertung der Online-Plattform Statista ist „derzeit nahezu das gesamte Handelsvolumen zwischen den USA (rund 550 Milliarden US-Dollar) und China (rund 185 Milliarden US-Dollar) mit Straf- und Ausgleichszöllen belegt, wenngleich nicht sämtliche Zölle aktiv sind“. Das US-Medienhaus Bloomberg sieht Anzeichen für eine „Reglobalisierung“, weil bei den US-Importen seit 2018 Chinas Anteil zugunsten anderer asiatischer Exportnationen schrumpft. Bis März dieses Jahres habe Apple seine Produktionskapazitäten in Indien verdreifacht und dort iPhones im Wert von mehr als sieben Milliarden US-Dollar hergestellt. Auch der US-Technologiekonzern Cisco kündigte Anfang Mai an, zwecks „Resilienz der Lieferkette“ in Indien zentrale Produktionskapazitäten aufzubauen. Globale Schuhhersteller wie Nike, Adidas, Puma oder Reebok führen ihre C+1-Strategie ebenfalls auf den Subkontinent. Experten gehen davon aus, dass andere Bereiche folgen werden, speziell der Einzelhandel. Seit zwei Jahren bekommt Dirk Matter, Geschäftsführer der AHK Indien in Düsseldorf „signifikant mehr Anfragen“, weil sich deutsche Unternehmen nach neuen Beschaffungsmärkten umschauen. Potenzial sieht er in Indien vor allem bei Metallprodukten wie Guss- und Schmiedeteilen, Komponenten für die Autoindustrie, chemischen, pharmazeutischen sowie elektrischen und elektronischen Produkten.

„Industrielle Arbeitsplätze
sind die Antwort
auf die
wachsende Bevölkerung.“

Stefan Halusa

Geschäftsführer der Deutsch- Indischen

Handelskammer (AHK Indien) in Mumbai

Um aus Indien ein Exportland zu machen, hat die Regierung 2020 mit den „Production Linked Incentive Schemes“ produktionsgetriebene Anreize für 14 Schlüsselbranchen angekündigt – angefangen bei Autoteilen über Batterieanlagen und Textilien bis zu Weißer Ware. „Industrielle Arbeitsplätze sind die Antwort auf die wachsende Bevölkerung“, sagt Stefan Halusa, Geschäftsführer der Deutsch-Indischen Handelskammer (AHK Indien) in Mumbai. Gleichzeitig versuche die indische Regierung mit ihrer Nationalen Logistikpolitik „eine wettbewerbsfähige Logistikinfrastruktur für den Export zur Verfügung zu stellen“, denn noch sind die Logistikkosten doppelt so hoch wie in Europa. Doch Halusa betont: „Im Vergleich zu China und anderen asiatischen Ländern ist Indien wegen der kürzeren Transportstrecke geografisch im Vorteil.“

Welche De-Risking-Strategien zur Risikoreduzierung Unternehmen in China gerade tatsächlich umsetzen, weiß Thomas Heck, Leiter China Business Group bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers in Frankfurt. „Wir hören im Markt, dass die große Mehrheit der Unternehmen in China bleibt und weiterhin investiert, aber besonders Mittelständler sich auch andere Märkte genau anschauen“, sagt er.

Während es Konzerne „im Zweifelsfall verkraften, wenn beispielsweise für ein paar Jahre die Produktion in China ausfällt oder für einige Zeit keine Dividenden aus China kommen“, habe das für mittelständische Unternehmen mit nur drei oder vier Fabriken weltweit existenzielle Bedeutung. Als großer Gewinner steht für Heck Singapur fest, denn dahin ziehen nicht nur scharenweise Expats aus Hongkong und Festlandchina um. Unternehmen wie der Chemiekonzern Evonik oder der Halbleiterhersteller Infineon positionieren sich in dem Inselstaat mit ihren Asien-Headquarters. In Singapur sind nach Auskunft von Tim Philippi, Executive Director bei der Deutsch-Singapurischen Industrie- und Handelskammer, über 2.000 deutsche Firmen aktiv. Das globale Finanzzentrum ist auch ein wichtiger Produktionsstandort – laut Philippi werden „mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts durch den Fertigungsbereich erwirtschaftet“.

Wie viele andere internationale Unternehmen nutzten sie den Stadtstaat „vorwiegend als regionale Basis, um in andere südostasiatische Märkte zu expandieren“. Das bestätigt Peter Dressler, Vice President Logistics bei Infineon Technologies: „Wir haben Standorte in Malaysia, Indonesien, Singapur, Thailand und auf den Philippinen. Viele Produktionspartner sind im südostasiatischen Raum. Singapur ist für uns in der Logistik ein wichtiges Drehkreuz.“ Im vergangenen Jahr gingen im weltweit zweitgrößten Hafen von Singapur 37,29 Millionen TEU über die Kaikante. Für die wachsenden Anforderungen des globalen Handels entstehen bis 2040 im Tuas Port zusätzliche Kapazitäten von 65 Millionen TEU. Auch Vietnam verfügt über ein modernes Seehafensystem – Hai Phong, Ho-Chi-Minh-Stadt, Ba Ria und Vung Tau stehen auf der Liste der 50 Häfen mit dem größten Frachtdurchsatz weltweit. Gateway-Häfen wie Lach Huyen (Hai Phong), Cai Mep (Ba Ria-Vung Tau ) können Mega-Containerschiffe abfertigen. Das vietnamesische Statistikamt schätzt das Containervolumen aller Seehäfen Vietnams in 2022 auf 25,09 Millionen TEU – das sind fünf Prozent mehr als im Vorjahr. „Das starke Wachstum der Fahrtgebiete nach China, Japan, Südkorea, Süd-Ost-Asien und auf einigen europäischen Routen sowie die hohen Seefrachtraten haben vielen vietnamesischen Reedereien zu einem deutlichen Umsatz- und Gewinnwachstum verholfen“, berichtet Walde von der AHK Vietnam.

China bleibt attraktiv

Die indischen Seehäfen profitieren von privaten Investitionen wie beim Ausbau des Containerterminals des Jawaharlal Nehru Port in Mumbai unter Beteiligung von J M Baxi Ports & Logistics Ltd. (JMBPL). 35 Prozent von JMBPL gehören seit Januar Hapag- Lloyd, für CEO Rolf Habben Jansen ist Indien „einer unserer wichtigsten Wachstumsmärkte“. Neben dem weltgrößten Containerhafen in Shanghai befinden sich allerdings sechs weitere chinesische Häfen in den umschlagstärksten Top 10. Leo Xu sitzt als Sales & Pricing Manager South China bei der internationalen Spedition A. Hartrodt mittendrin – die Greater Bay Area verfügt mit Shenzhen, Guangzhou-Nansha und Hongkong über drei der zehn weltgrößten Containerhäfen. Xu geht gelassen damit um, dass sich einige arbeitsintensive Industrien wie Textil- und Schuhherstellung, Elektronikmontage und -verarbeitung verlagert haben: „Wir konzentrieren uns auf andere Branchen, die aus China exportieren, in der Greater Bay Area haben wir weiterhin Hightech/Elektronik und Anlagenbau.“ Zudem richte A. Hartrodt mehr Aufmerksamkeit auf den innerasiatischen Handel, da einige Rohstoffe von China nach Süd-Ost-Asien verschifft werden müssen. Auch Bütfering von Hapag-Lloyd gibt Entwarnung: „Der Anteil von chinesischen Exporten wird über sehr lange Zeit weiterhin dominant bleiben und es wird aus meiner Sicht noch bis zum Ende des Jahrzehnts brauchen, bis wir signifikante Umverteilungen in andere Länder sehen werden.“ Der rote Balken hinter China bei den Top-Partnerländern des Hamburger Hafens dürfte noch lange lang bleiben.

Ansprechpartner bei Hafen Hamburg Marketing

  • Pan Hua

    Hafen Hamburg Marketing e.V.
    Repräsentanz Shanghai

    Telefon: +86 21 5386 0857
    E-Mail: pan.hua@hamburgshanghai.org
    2/F Hamburg House, 399 Baotun Rd.
    CN 200011 Shanghai China

  • Sameeha Pradeep Suhle

    Hafen Hamburg Marketing e.V.
    Repräsentanz Mumbai

    Telefon: +91 22 66652 150
    E-Mail: sameeha.sule@hamburgmumbai.com
    Maker Tower „E“, 1st Floor
    Cuffe Parade 400005 Mumbai Indien

  • Inga Gurries

    Leiterin Marktentwicklung Asien/
    Projektmanagerin bei HHM

    Telefon: +49 40 37709 173
    E-Mail: gurries@hafen-hamburg.de
    Hafen Hamburg Marketing
    Pickhuben 6
    20457 Hamburg