Leinen los für grünen Wasserstoff
© Marek Vogel Fotografie 2020

Leinen los für grünen Wasserstoff

Der klimafreundliche Energie-Hub im Hamburger Hafen nimmt Fahrt auf. Die Arbeiten am Ammoniak-Importterminal haben begonnen und es gibt Abkommen mit immer mehr Lieferländern.

Mit 72 Tanks ist das Tanklager Blumensand im Hamburger Hafen jetzt schon ein Hingucker, aber spätestens ab 2026 wird ganz Deutschland auf die Anlage von Oiltanking Deutschland blicken. Dann soll hier das erste deutsche Importterminal für grünen Ammoniak als Energieträger für den Transport von Wasserstoff in Betrieb gehen. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher strebt einen „führenden Wasserstoffstandort in Europa“ an: „Wir wollen dazu beizutragen, die Energiesicherheit in Deutschland zu gewährleisten und die Dekarbonisierung von Industrie und Wirtschaft voranzubringen.“ Die Weichen dafür haben Vertreter der Hamburger Behörde für Wirtschaft und Innovation (BWI), der Hamburg Port Authority (HPA) sowie des weltgrößten Wasserstoffproduzenten, Air Products, im Februar 2022 mit einer Absichtserklärung gestellt. Sie sichert Deutschland über den Hamburger Hafen strategischen Zugang zu dem umweltfreundlichen Energieträger. Mitte November kündigten Air Products und Mabanaft an, für den Aufbau einer umfassenden Wasserstoff-Wertschöpfungskette im Hafen ein Importterminal für grünen Ammoniak auf dem Gelände von Oiltanking in Blumensand anzusiedeln.

Dank 12,7 Meter Tiefgang ist das Terminal für See-, Bunker- und Binnenschiffe erreichbar. Landseitig lassen sich Eisenbahnkesselwagen und Straßentankwagen be- oder entladen, zudem gibt es einen Pipeline- Anschluss. Mabanaft, der Mutterkonzern von Oiltanking Deutschland, und Air Products stellen nach Auskunft von Mabanaft-Sprecherin Luisa Köneke für das Ammoniak-Importterminal „jeweils ein signifikantes Investitionsvolumen in dreistelliger Millionenhöhe“ bereit, insbesondere für Baumaßnahmen. Zwei konventionelle Öltanks sollen zurückgebaut, stattdessen ein Ammoniaktank neu errichtet werden. Verflüssigter Ammoniak, der eine besonders hohe Wasserstoff- Speicherkapazität aufweist, soll in Flüssiggastankern in den Hamburger Hafen transportiert werden. Zudem wird der Anleger in Blumensand verändert, das Terminal erhält Beladestationen für flüssigen und gasförmigen Wasserstoff sowie mehrere Pipelineverbindungen für Ammoniak und Wasserstoff. Hinzu kommen sogenannte Ammoniak Cracker, um Wasserstoff aus Ammoniak zurückzugewinnen.

Der genaue Betriebsstart im Jahr 2026 ist nach Auskunft der Mabanaft-Sprecherin „maßgeblich abhängig vom Abschluss des Genehmigungsverfahrens“ für die Neubaumaßnahmen, unter anderem durch die Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA). Aktuell erstelle Mabanaft seine Genehmigungsunterlagen.

Anfang März 2022 veröffentlichte die BWI die Strategie „Hamburg als Drehkreuz für Wasserstoffimporte nach Deutschland und Europa“, derzeit entwickelt sie gemeinsam mit der HPA die Importinfrastruktur im Hafengebiet. „Damit soll sichergestellt werden, dass Wasserstoffimporte ab circa 2030 im benötigten Maße zur Verfügung stehen“, sagt BWI-Sprecher Martin Helfrich. Bis spätestens zum Ende der Legislaturperiode Anfang 2025 sollen alle neun Aktionspunkte der Strategie umgesetzt sein – daran werde „derzeit fortlaufend gearbeitet“, so Helfrich. „Wasserstoff ist keine ferne Zukunftsmusik, sondern als Energieträger an zahlreichen Standorten schon fest eingeplant, und bei vielen Infrastrukturprojekten rollen bereits die Bagger“, stellt er klar.

Für das europäische Drehkreuz der internationalen Wasserstoffwirtschaft hat der Hamburger Senat mit verschiedenen Erzeugerländern Kooperationen vereinbart. Denn Studien gehen davon aus, dass im Jahr 2030 zwischen 43 und 70 Prozent der nationalen Wasserstoffbedarfe durch Importe gedeckt werden müssen.

„Hamburg als Drehkreuz
für Wasserstoffimporte
nach Deutschland
und Europa“

Martin Helfrich, Sprecher
Behörde für Wirtschaft und Innovation (BWI), Hamburg

800 Megawatt für die Zukunft
© HHM / Hasenpusch Productions

Während einer Lateinamerika-Reise im August vorigen Jahres unterzeichnete Tschentscher in drei Ländern Abkommen. So wollen Hamburg und Chile für eine effiziente grüne Wasserstoffwirtschaft gemeinsam die erforderliche Infrastruktur, Technologien und Logistikketten schaffen. Dazu stehen unter anderem Hafenvertreter aus Hamburg und Chile im Austausch. Auch mit Uruguay wird eine intensivere Hafenzusammenarbeit angestrebt, um eine Infrastruktur für den Imund Export von grünem Wasserstoff aufzubauen. Hafen Hamburg Marketing und die Hafenverwaltung von Montevideo trafen eine entsprechende Vereinbarung. In Argentinien besiegelte Tschentscher mit Regierungsvertretern ebenfalls eine künftige handels- und logistikbezogene Wasserstoffkooperation. Weitere Abkommen gibt es mit Schottland, dem niederländischen Groningen, in Kanada mit der Provinz Neufundland und Labrador mit dem Hafen Halifax durch eine Absichtserklärung der HPA.

Die Industrie sammelt erste Erfahrungen mit Ammoniak- Importen über den Hamburger Hafen. Für den Kupferhersteller Aurubis lieferte die Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten im September einen Ammoniak-Container an das HHLA Container Terminal Altenwerder. Die Ladung war für Testläufe zur klimaneutralen Umstellung der Kupferdrahtproduktion bestimmt, und um den Aufbau einer Wasserstofflieferkette zu erproben. Es folgte ein weiteres Projekt von HHLA, ADNOC und dem Stromerzeuger STEAG für ein Kraftwerk bei Leipzig. „Hier ging es ganz wesentlich auch um die Einbeziehung und Erprobung des Verkehrsträgers Bahn zur Verteilung der Energie ins Hamburger Hinterland“, erläutert HHLA-Sprecherin Karolin Hamann. Momentan arbeite die HHLA an weiteren Projekten im Bereich Wasserstoffimport und -distribution. Als künftiger „Green Hydrogen Hub“ für Deutschland und Europa wird der Hafen als Anlandepunkt für Wasserstoffimporte via Pipeline und per Schiff zu einem Wasserstoffverteilzentrum entwickelt. Perspektivisch werden große Mengen des importierten

Wasserstoffs aber unmittelbar im Hafengebiet abgenommen. Dort ansässige Industriebetriebe plus Lkw-Verkehre haben bis 2030 erheblichen Bedarf. Deshalb erteilten die BWI und BUKEA nach einer Machbarkeitsstudie im März 2022 den Startschuss für eine Elektrolyseanlage zur Produktion von grünem Wasserstoff am Standort des stillgelegten Steinkohlekraftwerks in Moorburg. Als „primäres Ziel“ nennt BWI-Sprecher Helfrich einen „Nukleus für die Erzeugung, Verteilung und Nutzung von grünem Wasserstoff in Hamburg“. Ab 2025 erscheinen zunächst 100 Megawatt Leistung realistisch. Für die weitere Zukunft sei die Hochskalierung auf bis zu 800 Megawatt geplant.

Unterdessen haben bei der HHLA im Clean Port & Logistics Cluster erste Arbeitsgruppen laut Hamann „mit der Entwicklung unterschiedlicher Konzepte für den Einsatz und die Versorgung von wasserstoffbetriebenen Geräten im Hafen und der Schwergutlogistik begonnen“. Eine im Januar bei Linde Engineering beauftragte Wasserstofftankstelle „wird gegenwärtig gefertigt“, ebenso entsprechende Umschlagsgeräte. Die im Cluster Clean Port & Logistics entwickelten

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Konzepte für Betrieb, Sicherheit, Reparatur, Wartung und Betankung der Geräte werden der HHLA-Sprecherin zufolge „voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte im Tagesgeschäft erprobt und optimiert“. Mit dem Projekt Hydrogen Port Applications (HyPA) setzt die HPA ebenfalls einen Schwerpunkt auf die Bereitstellung von Wasserstofftankstellen – für Lokomotiven, Schiffe und Lkw – sowie auf den Bau und Einsatz innovativer wasserstoffbetriebener Schiffe. Die HPA-Tochter Flotte Hamburg mit circa 50 städtischen Schiffen plant nach Auskunft von Geschäftsführer Karsten Schönewald aktuell ein „Versuchsfeld für Wasserstoff-Antriebe“. Zunächst sollen Dual-Fuel- Motoren für Diesel und Wasserstoff „als Brücke zu 100 Prozent Wasserstoff“ zum Einsatz kommen, Machbarkeitsstudien mit Herstellern seien in Arbeit. Schönewald hält es für realistisch, dass in Hamburg in drei Jahren die erste Hafenbarkasse mit Wasserstoff fährt. Für die internationale Schifffahrtsindustrie prüfen Hapag-Lloyd und Mabanaft gemeinsam Möglichkeiten für sauberen Ammoniak als Bunkerkraftstoff – unter anderem im und um den Hamburger Hafen mit dem Blickfang Blumensand.